Statement des Bundesvorsitzenden zu einem Offenen Brief
Sehr geehrter Herr Prof. Härting, sehr geehrte Mitunterzeichner des Offenen Briefes!
Als Bundesvorsitzender der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) möchte ich Ihnen gerne auf Ihre Fragen antworten.
1 Expertenrat: Welche konkreten Maßnahmen plant Ihre Partei, dass die künftige Corona-Politik begleitet wird durch einen Expertenrat, der sich aus allen betroffenen Disziplinen zusammensetzt: Expertinnen und Experten aus Medizin, Statistik, Virologie und Epidemiologie, aber auch Soziologie, Verhaltenspsychologie, Pädagogik, Kultur, Ökonomie, Politologie sowie Juristinnen und Juristen?
ad 1 Antwort:
Die Bewältigung der Coronapandemie darf nicht nur von der Beratung einzelner ausgewählter Mediziner bzw. Virologen abhängen. Die ÖDP hat das schon lange erkannt und deshalb von Anfang an einen parteiinternen Coronabeirat eingesetzt, der den Vorstand berät und der interdisziplinär mit Ärzten (Mikrobiologen, Immunologen, Notfallmedizinern), Apothekern, Rechtsanwälten, Experten für Public Health, Lüftungsingenieuren, Mitarbeitern internationaler Hilfsorganisationen, Philosophen und Theologen, Risikomanagern, Psychologen, Traumatherapeuten, Künstlern, Hebammen, Pflegekräften, Lehrern, Eltern, Arbeitsmarktexperten, Statistikern, Mathematikern besetzt ist. Bei diesen Diskursen auf Augenhöhe haben alle voneinander gelernt und konnten so politische Empfehlungen formulieren. Dieses Erfolgsmodell sollte auch auf Bundesebene übertragen werden.
2 Institutionen: Wie sieht die Anerkennung und der öffentliche Respekt Ihrer Partei vor der Arbeit der STIKO als gesetzlich mandatierter Kommission aus, wenn dem Impfen eine zentrale Funktion bei der Bewältigung der Pandemie zukommt? Warum ist das Robert-Koch-Institut – anders als beispielsweise die Datenschutzbehörden - keine unabhängige Behörde, sondern dem Bundesministerium für Gesundheit unterstellt?
ad 2 Antwort
Die ÖDP fordert nicht nur eine von Konzerninteressen freie Parteipolitik, sondern natürlich auch die Unabhängigkeit staatlicher Institutionen. Es hat sich gezeigt, dass die vom RKI als Konzept zur Bewältigung der Coronapandemie geforderte Durchimpfung der Bevölkerung mit den aktuell bedingt zugelassenen Impfstoffen nicht zur Beendigung der Pandemie durch Herdenimmunität führen wird. Bezüglich der Impfung von Kindern, die in der Regel nicht schwer an Corona erkranken, hat sich die STIKO zu einer Entscheidung erst spät durchgerungen und empfiehlt nun die Imfpung auch nicht vorerkrankter Kinder. Die ÖDP lehnt nicht eine Impfung ab, ist aber strikt gegen eine direkte oder indirekte Impfpflicht, die auch nach Art. 2 in Verbindung mit Art. 1 GG nicht verfassungsgemäß ist. Wir fordern für jede Impfentscheidung eine individuelle, ärztlich begleitete Risiko-Nutzen-Abwägung.
Jeglicher politischer Druck, wie ihn beispielsweise Markus Söder auf die STIKO ausgeübt hat, um ein gewünschtes Ergebnis herbeizuführen, ist entschieden abzulehnen.
3 Enquêtekommission: Was tut Ihre Partei dafür, dass der nächste Bundestag eine Enquetekommission einsetzt zur Untersuchung der Versäumnisse, die es bei der Bewältigung der Corona-Krise gegeben hat und weiterhin gibt, und zur Ausarbeitung von institutionellen, strukturellen, gesundheits- und rechtspolitischen Vorschlägen für Reformen und Veränderungen?
ad 3 Antwort
Durch die Angstkommunikation und die intransparente Auswahl von wissenschaftlichen Beratern ist es zu einer zunehmenden Polarisierung in unserer Gesellschaft und einer ernsthaften Belastungsprobe unserer Demokratie gekommen. Die ÖDP fordert die sofortige Rückkehr zu Transparenz, konsequenter Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit. Sollten wir in den Bundestag kommen, setzen wir uns dort für eine Enquêtekommission ein. Zusätzlich zu einer Enquêtekommission wünschen wir uns einen Bürgerrat betroffener Bürgerinnen und Bürger. Die Ergebnisse des Bürgerrats und der Enquêtekomission sollten Grundlage für dringend erforderliche Reformen und strukturelle Verbesserungen sein.
4 Politik nach Inzidenzen: Welche konkreten Vorschläge hat Ihre Partei für Messwerte zur Beurteilung der Infektionsgefahren, die an die Stelle der starren "7-Tage-Inzidenzen" treten? Wie können neue Bezugsgrößen konkret lauten?
ad 4 Antwort
Ein Statistiker des ÖDP-Coronabeirats hat von Anfang an deutlich gemacht, dass die Berechnungen der 7-Tages-Inzidenzen durch das RKI statistisch nicht dem Stand der Wissenschaft entsprechen. Zudem ist in der Epidemiologie der Begriff "Inzidenz" eindeutig definiert. Bei den Angaben des RKI hingegen handelt es sich bis heute stets um eine nicht repräsentative Zufallsstichprobe. Der ÖDP-Coronabeirat hat gemäß des wissenschaftlichen Stands der Epidemiologie und des Risikomanagements in der Vergangenheit bereits ein robustes, transparentes und leicht zu kommunizierendes Regelwerk vorgeschlagen. Kernpunkte sind darin drei quantitative Kennwerte, wie vom Institut für Statistik der LMU München vorgeschlagen (CODAG-Berichte): 1. Zahl der Neuaufnahmen von Covid-19 Patienten auf Intensivstationen bezogen auf die Herkunft (Landkreis). 2. Inzidenz der klinisch relevanten (!) Coronainfektionen in der Altersgruppe 60-79 Jahre. 3. Keine allgemeine Kontaktverfolgung mehr durch die Gesundheitsämter, sondern nur noch zum Schutz von Risikogruppen.
5 Stufenplan: Welche Ideen hat Ihre Partei für einen Corona-Stufenplan mit mittel- und langfristigen Strategien zur Normalisierung des gesellschaftlichen Lebens? Wie kann es gelingen, eine Politik zu entwickeln, deren Horizont über wenige Wochen hinausreicht?
ad 5 Antwort
Ich setze mich für eine baldige Rückkehr zur Normalität ein. Die Ausnahmesituation und Grundrechtseinschränkungen können nur so lange gelten, wie eine Überlastung des Gesundheitssystems droht.
Wir lehnen als ÖDP - übereinstimmend mit dem Europarat - jegliche Diskriminierung und jeglichen politischen oder psychosozialen Druck (indirekte Impfpflicht) gegenüber Personen, die sich gegen eine Impfung entscheiden, ab.
Weitere Lockdownmaßnahmen halte ich persönlich bei der aktuellen Lage und angesichts der signifikanten Kollateralschäden für nicht rechtfertigbar. Hier braucht es intelligente und zielführendere Lösungen.
Tests können ein sinnvolles Mittel sein, vor allem, wenn diese schärfere Maßnahmen verhindern. Sie müssen dann aber auch für Geimpfte wie Ungeimpfte gelten, für Betriebe gleichermaßen wie an Schulen. Wir halten auch 3 G nicht für sinnvoll, da auch Geimpfte sich sowohl anstecken als auch für andere ansteckend sein können. Also wenn Tests, dann für alle.
Ich wünschen mir mehr Zutrauen und Eigenverantwortung. Wer sich krank fühlt, soll zu Hause bleiben, alle anderen sollen wieder am öffentlichen Leben teilnehmen können, je nach medizinischer Lage mit oder ohne Tests.
Die ÖDP tritt in allen Politikfeldern für vorausschauendes, ganzheitliches und nachhaltiges Handeln ein. Single-Issue-Politik und kurzfristiges Denken führt meist zu neuen Problemen.
6 Entschädigung: Welches Konzept hat Ihre Partei für eine gerechte und transparente Verteilung der finanziellen Lasten der Pandemie? Wie lässt sich ein dauerhafter Ausgleich schaffen zwischen Bürgern, die schwere finanzielle Einbußen hinnehmen mussten, und Unternehmen, Beamten und Angestellten, die ein ungeschmälertes Einkommen hatten oder sogar wirtschaftlich von der Corona-Krise profitieren?
ad 6 Antwort
Es kann nicht sein, dass mit Zuschüssen für die Industrie weiterhin Dividenden ausbezahlt werden und das Geld nicht an den Staat zurückgezahlt wird. Mit dem ersten Lockdown hätte man sofort die Finanzämter verstärken können, damit diese unter Verwendung der ihnen vorliegenden Daten Hilfszahlungen hätten veranlassen können. Zuviel ausgezahlte Coronahilfen hätten so wieder eingefordert werden können. Die ÖDP setzte sich schon vor der Coronapandemie für eine ökosoziale Steuerreform mit Fokus auf das Gemeinwohl ein.
7 Kultur: Für Kulturschaffende ist die Corona-Krise ein tiefer Einschnitt. Viele Künstlerinnen und Künstler konnten seit März 2020 kaum arbeiten. Kultur wurde dem Anschein nach als verzichtbares Freizeitvergnügen angesehen. Welches Konzept hat Ihre Partei für eine zukunftsfeste Kulturlandschaft? Welche Lehren zieht Ihre Partei aus der Krise für eine bessere soziale Absicherung von Kulturschaffenden und „Soloselbstständigen"?
ad 7 Antwort:
Künstler zählen zu der Berufsgruppe, die am meisten unter den Corona-Maßnahmen leidet. Ganz besonders in einer Zeit der gesellschaftlichen Spaltung kommt der Kultur jedoch eine große Bedeutung zu. Sie ist Reflexionsort und -raum für den notwendigen gesellschaftlichen Diskurs. Langfristige stabile Sicherungsinstrumente für Kunst- und Kulturschaffende sind zu etablieren
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8 Bürgerrechte: Welche Ideen für ein Konzept hat Ihre Partei, wie es sich vermeiden lässt, dass Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten hinter verschlossenen Türen Entscheidungen über Corona-Maßnahmen treffen, die tief in das Leben und in die Grundrechte der Bürger eingreifen? Wie lassen sich Transparenz, demokratische Prozesse, öffentliche Kommunikation und verhältnismäßige Abwägungen besser gewährleisten?
ad 8 Antwort
Die Diskussion und die Entscheidung von Coronamaßnahmen müssen - wie von der Verfassung vorgesehen - im Parlament offen diskutiert und entschieden werden.
Eine Ministerpräsidentenkonferenz plus Kanzlerin ist kein Verfassungsorgan. Die zunehmende Verlagerung von Entscheidungen, die eigentlich dem Parlament vorbehalten sind, hin zur Exekutive, betrachte ich, gerade auch als Politikwissenschaftler, mit Sorge. Diese Entwicklung war schon vor der Corona-Pandemie zu beobachten. Die intransparente Entscheidungsfindung und die mangelhafte Kommunikation der Entscheidungen plus die teils unlogischen Maßnahmen haben zu viel Unverständnis in der Bevölkerung geführt. Grundrechtseinschränkungen müssen ultima ratio bleiben, es ist stets das mildere Mittel zu wählen. Sie sind zudem auf dem vom Grundgesetz vorgesehenen Weg, nämlich durch das Parlament, zu beschließen. Sie sind nur zulässig, wenn sie verhältnismäßig, erforderlich und geeignet sind. Sie müssen zudem hinreichend bestimmt sein.
Es wäre zu diskutieren, für Grundrechtseinschränkungen ein 2/3-Mehrheit wie für Verfassungsänderungen vorzusehen. Keinesfalls darf der Kern der Grundrechte angetastet werden.
Hier und da wurde auch bei Maßnahmen und deren Durchsetzung überzogen. Das generell gute Verhältnis zwischen Bürgern und Staat bzw. Polizei sollte hier nicht aufs Spiel gesetzt werden.
Ganz generell fehlte in der Corona-Pandemie ein erkennbares strategisches Handeln, mit klaren und messbaren Zielen, einer Evaluation der gewählten Mittel und ihrer Auswirkungen und eine Entscheidung auf der Grundlage evidenter Erkenntnisse sowie eine ausreichende Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern hierüber.
Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Rechholz
Bundesvorsitzender ÖDP
Bundestags-Direktkandidat (Wahlkreis 244)
christian.rechholz@oedp.de