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Persönlicher Kommentar

Die größte Gefahr für die Demokratie ist nicht Diktatur sondern Desinteresse

Unsere Demokratie hat viele Gegner, auch im eigenen Land. Nach einer aktuellen Umfrage des STERN wünschen sich acht Prozent der Deutschen eine Monarchie. Die sogenannten Reichsbürger weigern sich gleich ganz, das Ende des Deutschen Reiches zu akzeptieren. Dazu kommen Rechtsradikale, sogar waschechte Nazis innerhalb und außerhalb der AfD.

All diese Gegner sind real. Und nicht ungefährlich. Aber sie werden überschätzt. Denn sie führen uns auf die falsche Fährte. Demokrat*innen denken vor allem darüber nach, wie man Demokratie stärkt, indem man bestimmte Gruppen bekämpft – oft indem man ihre demokratischen Rechte beschneidet.

Doch vielleicht ist das nicht der richtige Ansatz. Denn wo immer Demokratien bislang gescheitert sind, lag es meist daran, dass zu viele Menschen ihr zu gleichgültig gegenüberstanden. Demokratie braucht vor allem: Demokrat*innen. Und die werden nicht als solche geboren.

Demokratie ist eine Einstellung und damit keine Frage der Gene, sondern der kulturellen Aneignung durch Bildung und Training. Und das hat etwas mit Kompetenz, Bereitschaft und Wirksamkeit zu tun.

Anhand des nebenstehenden Models sollten wir uns die einzelnen Komponenten der Demokratie und deren Wechselwirkung etwas genauer anschauen.

Demokrat*in wird man nicht, weil man die Funktion des Bundestages und das deutsche Wahlrecht in der Schulklausur unfallfrei beschreiben kann. Sondern, indem man sie erlebt. Wir wissen heute sehr genau, dass frühe Selbstwirksamkeitserfahrung oft lebenslange demokratische Wirksamkeit triggert.

Erfahre ich Selbstwirksamkeit, erhöht dies tatsächlich meine Bereitschaft, mich auch in anderen Zusammenhängen auf Diskurse, Dialoge und demokratische Prozesse einzulassen.

Lasse ich mich darauf ein, steigere ich meine Diskurskompetenz. Und die ist eben nicht nur Rhetorik, sondern auch Zuhören können, Eingehen auf die Interessen anderer, Wertschätzung auszudrücken und mit Kritik umgehen zu können.

Erst diese Diskurskompetenzen ermöglichen mir, in weiteren Prozessen auch eine der wesentlichen Kompetenzen in einer Demokratie zu entwickeln: Verlieren zu können. Es auszuhalten, wenn ich nicht in der Mehrheit bin. Ergebnisse zu akzeptieren, die mir nicht gefallen – und demokratische Wege zu bestreiten, um weiter für meine Ziele zu streiten.

Je besser ich das beherrsche, je ausgeprägter meine Demokratiekompetenz, desto größer ist eine Chance auf weitere Selbstwirksamkeitserfahrung. Für mich, aber auch für Menschen in meinem Umfeld.

Betrachten wir das Schaubild, sehen wir eine Menge Herausforderungen, aber auch Chancen, um positive Impulse zu setzen.

Es ist völlig in Ordnung, sich zunächst auf eines dieser Felder zu konzentrieren, wichtig ist nur, das große Ganze nicht aus den Augen zu verlieren.

Wenn aus Selbstwirksamkeit Diskursbereitschaft entstehen soll, dann muss diese Selbstwirksamkeit auch diskursbasiert zustande kommen.

Wenn Diskursbereitschaft zu Diskurskompetenz führen soll, muss es Angebote dazu geben, wie attraktive Beteiligungsofferten, aktivierende Formate, reflektierende Prozesse oder qualifizierende Moderation.

Wenn Diskurs- in Demokratiekompetenz münden soll, dann braucht es Prozesse, in denen Diskurse ergebnisbestimmend sind, Rückschritte nicht als Problem und wechselnde Mehrheiten als erstrebenswert definiert sind.

Und aus Demokratiekompetenz können nur weitere Selbstwirksamkeitserfahrungen entstehen, wenn wir das Prinzip der permanenten Partizipation leben.

Wir kommen zum Fazit: Die größte Gefahr für die Demokratie ist – zu wenig Demokratie.

Das heißt auch: Wenn Menschen mit Demokratie nichts anfangen können, sollten wir darüber nachdenken, wie wir ihnen mehr davon anbieten können, statt weniger.

Viel mehr. Viel öfter. Nicht viel einfacher.
Aber viel wirksamer.

 

Jörg Sommer ist Direktor des Berlin Institut für Partizipation (www.bipar.de), Herausgeber des Kursbuch Bürgerbeteiligung (www.kursbuch.info) und Autor des wöchentlichen Newsletters demokratie.plus (www.demokratie.plus).

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