Persönlicher Kommentar
Lehrermangel wirksam begegnen – Perspektiven durch ein duales Lehramtsstudium
Das deutsche Bildungssystem steht kurz vor der Implosion. Der Lehrermangel hat sich in vielen Bundesländern zu einer Dauerkrise mit dramatischen Auswirkungen entwickelt. Unterrichtsausfälle, überlastete Kollegien und sinkende Bildungsqualität sind nicht länger Warnzeichen, sondern Symptome eines Systems am Rand seiner Belastungsgrenze. Die politisch diskutierten Gegenmaßnahmen greifen oft zu kurz – und manche, wie z.B. die Einschränkung der bedingungslosen Teilzeit, drohen mehr Schaden anzurichten als zu helfen. Was wir brauchen, ist ein struktureller Neustart – insbesondere in der Lehrkräftebildung. Ein duales Lehramtsstudium kann hier ein entscheidender Schlüssel sein.
1. Die aktuelle Situation: Lehrermangel mit Systemrisiko
Lehrkräfte fehlen flächendeckend – an Grundschulen, in der Sekundarstufe, besonders in ländlichen und sozial belasteten Regionen. Viele Lehrerinnen und Lehrer arbeiten längst an der Belastungsgrenze. Die Auswirkungen sind unübersehbar: wachsende Klassen, weniger individuelle Förderung und ein Bildungssystem, das auf Verschleiß fährt.
In dieser angespannten Lage wird politisch vorgeschrieben, die Möglichkeit zur bedingungslosen Teilzeit für Lehrkräfte deutlich einzuschränken. Doch diese Maßnahme greift nicht nur zu kurz – sie ist kontraproduktiv.
Denn viele Lehrkräfte arbeiten in Teilzeit nicht aus Bequemlichkeit, sondern aus Gründen der psychischen und physischen Belastung, familiären Verpflichtungen oder zur Erhaltung ihrer langfristigen Arbeitsfähigkeit. Eine erzwungene Aufstockung der Arbeitszeit würde das Gegenteil des angestrebten Effekts bewirken: steigende Krankenstände, frühzeitige Ausstiege aus dem Beruf und ein noch stärker überlastetes Kollegium.
Zudem wird das Lehramt dadurch als Beruf insgesamt weniger attraktiv – gerade für junge Menschen, die sich bewusst für ein anspruchsvolles aber ausgewogenes Berufsleben entscheiden möchten. In einer Zeit, in der der Lehrerberuf ohnehin unter Nachwuchsmangel leidet, droht eine solche Maßnahme potenzielle Studieninteressierte abzuschrecken. Damit schwächt man die Perspektive für den Lehrkräftebedarf von morgen – und verschärft die heutige Notlage zusätzlich.
2. Das Problem des bisherigen Lehramtsstudiums
Die Lehrkräftebildung in Deutschland ist stark theorielastig. Viele Studierende sehen eine echte Schulklasse erstmals nach Jahren im Studium – zu spät, zu selten, zu unvorbereitet. Die Folge: Studienabbrüche, Orientierungslosigkeit, und Absolventen, die den Schock der Praxis im Referendariat erleben. Ein Studium, das den Schulalltag weitgehend ausklammert, kann keine überzeugende Vorbereitung auf den Lehrerberuf sein. Von teilweise sehr veralteten Studieninhalten ganz abgesehen. Auch hier besteht hoher Reformbedarf.
3. Lösungsvorschlag: Einführung eines dualen Lehramtsstudiums
Ein duales Lehramtsstudium, das einen halbjährlichen Wechsel zwischen Hochschulphasen und angeleitetem Schuldienst vorsieht, bietet eine echte Reformperspektive.
Vorteile im Überblick:
• Früher Praxisbezug: Studierende erleben von Beginn an echte Unterrichtssituationen – und entwickeln schneller pädagogische Sicherheit.
• Sicherere Berufswahl: Der kontinuierliche Kontakt zum Klassenzimmer hilft, frühzeitig zu erkennen, ob der Beruf zur eigenen Persönlichkeit passt.
• Entlastung der Schulen: Unter Anleitung können dual Studierende Aufgaben übernehmen – von Fördermaßnahmen bis hin zu Vertretungen.
• Qualitätssteigerung der Ausbildung: Durch die enge Verzahnung von Theorie und Praxis wird der Kompetenzerwerb vertieft und praxisrelevant.
4. Faire Bezahlung als zentrale Voraussetzung
Ein solches Modell darf nicht auf unbezahlter Mehrbelastung fußen. Die schulischen Praxisphasen müssen angemessen vergütet werden. Wer unterrichtet, trägt Verantwortung – und darf nicht finanziell benachteiligt werden. Eine faire Bezahlung schützt vor Studienabbrüchen aus wirtschaftlichen Gründen und sorgt dafür, dass sich Studierende auf das konzentrieren können, was zählt: ihre Ausbildung. Gleichzeitig ist sie ein Zeichen gesellschaftlicher Wertschätzung für angehende Lehrkräfte.
5. Fazit: Struktur statt Symbolpolitik
Das Bildungssystem steht unter Druck. Symbolpolitische Maßnahmen wie die Einschränkung der Teilzeit greifen zu kurz und gefährden eher die Gesundheit der Lehrkräfte als die Unterrichtsversorgung langfristig zu sichern. Wir brauchen nachhaltige, strukturelle Lösungen.
Ein duales Lehramtsstudium ist ein solcher Ansatz. Es bringt Studierende früher mit der Realität des Lehrerberufs in Kontakt, sichert die Qualität der Ausbildung und stärkt die Bindung an den Beruf. Gleichzeitig entlastet es perspektivisch die Schulen – und bietet jungen Menschen eine klarere Perspektive.
Wenn wir den Lehrermangel wirklich bekämpfen wollen, dürfen wir nicht am Symptom herumdoktern. Wir müssen die Wurzeln angehen – und die Ausbildung zur Lehrkraft grundlegend neu denken. Jetzt ist der Zeitpunkt dafür. Denn unser Bildungssystem kann keine weiteren Verzögerungen mehr verkraften.
Wir brauchen mehr als Pflasterlösungen!
Wir brauchen einen Systemwandel!
___________________________________________________________________
Urheberrechtshinweis
Alle Inhalte dieser Veröffentlichung, einschließlich Texte, Grafiken und anderer Materialien, sind urheberrechtlich geschützt. Das Urheberrecht liegt, soweit nicht anders angegeben, bei Jens Geibel.
Die Verwendung, Vervielfältigung oder Veröffentlichung – auch auszugsweise – bedarf der vorherigen schriftlichen Genehmigung des Urhebers. Dies gilt insbesondere für die Übernahme in elektronische oder gedruckte Publikationen sowie für die Weitergabe an Dritte.
Anfragen und Kontakt:
Jens Geibel
Leverkusen
Mail: jens.geibeloedp.de