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Persönlicher Kommentar

Mehr Freiheit für Studium, Forschung und Lehre: Hochschulpolitik muss Wissen für alle schaffen

An vielen Unis in Deutschland sind in diesem Oktober nach drei Semestern Online-Lehre die Studierenden wieder in den Hörsäle zurückgekehrt, in die Bibliotheken, in die Mensa, und ja, auch in die Campus-Kneipe. Fast drei Millionen Studierende [1] sind derzeit an deutschen Hochschulen und Universitäten eingeschrieben - in den letzten Jahrzehnten ist diese Zahl fast durchgehend gestiegen. [2] Aber auch die Art des Studiums hat sich verändert: Achtzehn Semester Philosophie-Studium ist nicht selten dem modularisierten BWL-Bachelor gewichen, um ein Klischee aufzugreifen. Viele Studierende, aber auch Lehrende bemängeln ein zu verschultes Studium, Lehre und Forschung sind in Geldnot.

Für die ÖDP müssen Hochschulen jedoch mehr sein als nur Lernfabriken, aus denen nach sechs oder zehn Semestern Regelstudienzeit maßgeschneiderte, konforme Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer herauskommen: Hochschulen sorgen für Berufsausbildung, jedoch sind sie auch der Ort wissenschaftlichen Fortschritts, vermitteln interdisziplinäres Denken, Lehren und Lernen. Sie bilden Menschen weiter, sie bilden nicht nur aus. Deshalb müssen wir die deutsche Hochschullandschaft neu denken, weiter denken - und einige aktuelle Entwicklungen auch kritisch beobachten:

 

Studium

Das Studiensystem mit Bachelor- und Masterabschluss gemäß der Bologna-Reform der 2000er Jahre ist erneut reformbedürftig: Es ist oft zu verschult mit starren Studienordnungen - so bereitet es unseren Nachwuchs nicht auf den Arbeitsmarkt vor, der andere Kompetenzen verlangt, und schränkt außerdem akademische Neugier und die Möglichkeiten zur Umorientierung der Studierenden ein. Im fortgeschrittenen Studium sollten Wahlpflichtmodule die Regel sein, um ein freies Studium nach persönlichen Interessen und Begabungen der Studierenden zu ermöglichen. Außerdem brauchen wir im Studienverlauf eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Wirtschaft, damit Absolventinnen und Absolventen die bestmöglichen beruflichen Chancen erhalten. 
 

Lehre

Alle Studierten kennen sie, die unmotivierten Professoren, die ihre Pflicht-Seminare montagmorgens auf 8 Uhr legen in der Hoffnung, dass sich niemand anmeldet - oder die übermotivierten, die von ihren Studierenden so viel verlangen, dass am Schluss 80 % durchfallen. Der akademische Mittelbau indes, also Lehrende ohne Professur, hat es schwer, eine befristete Anstellung mit anständigen Arbeitsbedingungen zu finden - dabei ist es genau dieser Mittelbau, der einen Großteil der Lehre zu stemmen hat.

Wir brauchen eine Stärkung der Lehre: Bei der Berufung auf Professuren muss die Eignung für die Lehre mitbedacht werden. Außerdem braucht es mehr Anreize für Akademikerinnen und Akademiker, die Wissenschaftskarriere einschließlich Hochschullehre einzuschlagen. Nicht selten entscheiden sich vielversprechende Nachwuchswissenschaftler explizit gegen eine Hochschullaufbahn, weil die Zukunftsperspektiven dort schlecht sind: Zeitarbeitsvertrag reiht sich an Zeitarbeitsvertrag, Standortwechsel alle paar Jahre... Sicherheit im Job sieht anders aus. [3]

 

Forschung

Die Finanzierung von Forschungsprojekten muss dringend verbessert werden - besonders bei geisteswissenschaftlichen Forschungsprojekten müssen Finanzmittel auch staatlich gesichert sein, damit geisteswissenschaftliche Studiengänge nicht noch mehr als ohnehin schon momentan auf der Stelle treten oder noch weiter eingeschränkt werden, während naturwissenschaftliche und wirtschaftsnähere Bereiche in Fördergeldern untergehen. Drittmittel, die z.B. von Unternehmen aus der freien Wirtschaft zur Verfügung gestellt werden, dürfen die Freiheit der Forschung nicht einschränken: Drittmittelgeber dürfen z.B. auf die Inhalte von Studien, wann diese veröffentlicht werden und wer die Rechte an den Forschungsergebnissen hat, keinerlei Einfluss nehmen!

Auch die Bezahlung, für Mittelbau wie Professur und Top-Wissenschaftler, muss angepasst werden, um zu verhindern, dass hochqualifizierte Hochschulmitarbeiter ins Ausland oder in die freie Wirtschaft abwandern.

 

Wissenschaftsethik

Klingt wie ein sehr trockenes Gebiet, ist aber fundamental wichtig. Wir müssen wieder verstärkt und breit Debatten darüber führen: Was soll, was darf Wissenschaft? Und auch wenn die Bedürfnisse der Wirtschaft natürlich Gehör finden müssen bei der Planung von Forschungsprojekten, so dürfen sie aber nicht allein themenbestimmend sein, gar Forschungsthemen ausschließen oder zu Gefälligkeitsgutachten führen. Die Freiheit von Forschung wie Lehre ist und bleibt für uns oberstes Gesetz! Nicht Interessen einzelner Unternehmen oder Branchen stehen im Mittelpunkt, sondern das Allgemeinwohl.
 

Und einen Hochschul-Tipp der Woche haben wir noch:

Die Students for Future, der studentische Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung in Deutschland, startet heute ihre Klimaaktions- und -bildungswoche "Public Climate School". Weil die Studierenden finden, die Klimakrise erhält nicht die Beachtung an den Unis, die sie verdient, gestalten sie eine Woche lang ihr Vorlesungsprogramm um - nicht nur für Studierende, sondern offen für alle.

 

Quellen:

[1] Zum Wintersemester 2020/21, s. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/12/PD20_497_213.html 

[2] https://www.bpb.de/gesellschaft/bildung/zukunft-bildung/190350/wachsender-studentenberg-entwicklung-der-studierendenzahlen-in-deutschland

[3] Exemplarisch dazu z.B. im Tagesspiegel oder im Spiegel 

Autor/in:
Fenya Kirst
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