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Persönlicher Kommentar

Nachhaltigkeit muss auch gerecht sein

Die fetten und unbeschwerten Jahre sind vorbei. Mit dem Krieg kommen Angst und Not auch nach Europa zurück. Energiekrise, Inflation, Wohnungsnot und Flüchtlingsdramen bestimmen die sozialen Debatten. Sie verdeutlichen, dass Umwelt-, Klima- oder Artenschutz nicht zu lösen sein werden, ohne zugleich die Fragen nach der sozialen Gerechtigkeit zu beantworten.

Mehr soziale Gerechtigkeit und besserer Umwelt-, Arten- sowie Klimaschutz: Die Botschaft, die  der Paritätische Gesamtverband und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) jüngst in einem offenen Brief an die Bundestagsfraktionen der Ampelkoalition richteten, basiert auf der wichtigsten „Herausforderung unserer Zeit“. Nur wer Sozial- und Klimaschutzpolitik gemeinsam denke und dann vor allem danach auch handle, könne die „Lebensverhältnisse ökologischer und gerechter gestalten“.

Bereits im Brundtland-Bericht „Our Common Future“ an die UNO von 1987 fußt Nachhaltigkeit auf dem Dreiklang von Ökonomie, Ökologie und Sozialpolitik. Nur diese drei Säulen zusammen, so die Grunddefinition der Nachhaltigkeit, sichern auch heute noch – in Zeiten des Kriegs in Europa, der Energiekrise und des Migrationsdrucks (als Folge dieser Widrigkeiten) mehr denn je – die notwendige Transformation unserer Gesellschaft und Wirtschaft auf dem Weg in eine post-fossile Welt. Rangen lange Jahre vor allem Ökologen und Ökonomen um die Deutungshoheit und das Entscheidungs-Vorrecht in Nachhaltigkeitsdebatten, gewinnt in der „Zeitenwende“ endlich auch der soziale Aspekt der Nachhaltigkeit jene Bedeutung, die ihm zusteht – ihm aber leider allzu lange verwehrt blieb.

Knappes Geld und versiegende Ressourcen zwingen uns zur Einsicht: Ohne soziale Gerechtigkeit führt alle Anstrengung im Klima- und Naturschutz ins Abseits. Wir riskieren, wenn wir nicht alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit im Blick behalten und  den Sozialaspekt weiterhin vernachlässigen, dass uns die Basis, auf die wir bauen wollen, wegbricht. Kindergrundsicherung oder Armutsbekämpfung sind – mindestens (!) –  so bedeutend wie ein ökologischer Umbau der Landwirtschaft und unsere daran hängende gesunde Ernährung oder auch der Erhalt der Biodiversität. Die Transformation unserer Energieerzeugung oder ein Umstieg auf dekarbonisierte Produktion sind Voraussetzungen für den Klimaschutz – doch dürfen wir bei aller Konzentration auf diese wichtigen Ziele die Aspekte der Menschlichkeit und des sozialen Miteinanders nicht außer acht lassen. Sonst riskieren wir die Spaltung der Gesellschaft.

Politik muss sich auch um die am Rand stehenden Mitmenschen kümmern. Sie muss Konzepte präsentieren, wie eine Gesellschaft die vorhandenen Mittel auch jenen zugute kommen lässt, deren eigene Kraft nicht ausreicht, für sich zu sorgen. Sie muss Vorschläge präsentieren, die das Zusammenleben in der Gesellschaft ermöglichen und regeln, wie wir Menschen in und aus anderen Ländern begegnen – ohne Vorurteile, Misstrauen oder gar Missgunst. Denn es sind Menschen wie wir. Aufgabe von Politikerinnen und Politikern in Parlamenten oder außerhalb muss es sein, die sozialen Dimensionen unseres Handelns auch im Feld nachhaltiger Transformationen stets ins Kalkül einzubeziehen. Denn selbst  beste Politik der Nachhaltigkeit führt ins Abseits, wenn sie die sozialen Aspekte vernachlässigt oder – schlimmer noch – negiert.

Autor/in:
Gerd Pfitzenmaier
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