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Persönlicher Kommentar

Obdachlosigkeit – Hilfen verbessern, Strukturen verändern

Ende Dezember 2022 wurde vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales der erste Bericht zur Obdach- und Wohnungslosigkeit in Deutschland veröffentlicht. Zum Zeitpunkt des Berichts waren 262.600 Menschen in Deutschland ohne Wohnung. 38.500 Personen lebten tatsächlich auf der Straße, die anderen hatten eine vorübergehende Unterkunft – privat oder in öffentlichen Einrichtungen.*

Die wohnungslosen Personen ohne Unterkunft sind nach dem Bericht zu fast 80% männlich und überwiegend alleinstehend. Zu den Obdachlosen kommen laut der Studie noch 49.000 „verdeckt wohnungslos“ lebende Menschen hinzu. Verdeckte Wohnungslosigkeit ist häufig der erste Weg, den Menschen gehen, die ihre Wohnung verloren haben: Sie fragen Freunde oder Verwandte, ob sie bei ihnen übernachten können. Außerdem lebten 6600 minderjährige Kinder und Jugendliche in Wohnungslosigkeit – 1100 gemeinsam mit ihren Eltern auf der Straße und etwa 5500 in verdeckter Wohnungslosigkeit.**

Grundsätzlich gibt es viele Gründe dafür, dass jemand plötzlich keine eigene Wohnmöglichkeit mehr hat, z.B. eine Scheidung, Arbeitslosigkeit oder eine Suchterkrankung. Doch der Bericht zeigt eine deutliche Tendenz: Fast die Hälfte (47%) der wohnungslosen Menschen ohne Unterkunft und der verdeckt Wohnungslosen haben ihre Wohnung hauptsächlich aufgrund von Mietschulden verloren.  

Tag der Wohnungslosen

Der heutige Tag der Wohnungslosen ist ein bundesweiter Aktionstag, der jährlich am 11. September begangen wird. Er soll auf die bestehende Wohnungsnot aufmerksam machen. Wohlfahrtsverbände und Einrichtungen wie Rotes Kreuz oder Caritas bieten diverse Hilfsmöglichkeiten an, wie die Tafeln, Suppenküchen, Wärmestuben oder den Kältebus. Auch die Einführung von Straßenzeitungen wie „Biss“, die von Leuten in sozialen Schwierigkeiten verkauft werden, ist ein erfolgversprechendes Konzept der Hilfe zur Selbsthilfe. Doch um das Ziel aus dem Koalitionsvertrag zu erreichen, bis 2030 Wohnungslosigkeit zu beseitigen, müssen strukturelle Probleme angegangen werden. (Siehe auch Beitrag Mietpreiskrise in Deutschland).  

Unsere Forderung

Daher fordert die ÖDP: Obdachlosigkeit muss mit bezahlbarem, sozialem Wohnungsbau für Bedürftige bekämpft werden, auch um den Wohnungsmarkt zu entzerren und Wohnungslosigkeit schon im Vorfeld zu verhindern.

Ein kleiner Blick in unsere Nachbarstaaten zeigt Möglichkeiten auf: Finnland hat es mit dem aus den USA übernommenen Konzept „Housing First“ geschafft, dass die Zahl der Obdachlosen seit Jahren zurückgeht. Offiziellen Angaben zufolge waren 1980 noch 20.000 Menschen ohne feste Bleibe, Ende 2022 war die Zahl auf 3686 gesunken.*** Finnland gilt seither als Musterland im Kampf gegen die Obdach- und Wohnungslosigkeit. Bei „Housing First“ geht es darum, obdachlose Menschen so schnell wie möglich in einer „richtigen“ eigenen Wohnung anstatt einer Gemeinschafts- oder Notunterkunft unterzubringen und dann auf dieser stabilisierenden Basis die Gründe der Obdachlosigkeit (Schulden, Sucht, Arbeitslosigkeit, psychische Erkrankung etc.) anzugehen.

In Großbritannien gibt es seit fünf Jahren den „Chor ohne Namen“ (Choir with No Name). Über das Land verteilt sind bereits sechs Chöre entstanden: Gesangsgemeinschaften mit Obdachlosen und ausgegrenzten Menschen, die unter der Prämisse gegründet wurden, dass Singen ein gutes Gefühl vermittelt, aber auch hilft, Selbstvertrauen und dauerhafte Freundschaften aufzubauen. Zudem führen die Organisatoren Gemeinschaftsprojekte für Menschen durch, die von Obdachlosigkeit bedroht sind.

Beide Beispiele berücksichtigen, was Hilfsorganisationen stets im Umgang mit obdachlosen Menschen fordern: Ihnen mit Respekt zu begegnen.

 

*https://www.bmas.de/DE/Soziales/erstmals-belastbare-zahlen-ueber-wohnungslosigkeit-in-deutschland.html

**https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/obdachlosigkeit-in-deutschland-37-400-menschen

***https://www.rnd.de/wirtschaft/keine-obdachlosigkeit-in-deutschland-bis-2030-was-hat-es

Autor/in:
Anja Kistler
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