Persönlicher Kommentar
Wer wirklich in der Hängematte liegt, trägt Anzug und Boni
Persönlicher Kommentar zur Diskussion um das Bürgergeld
Michelle Derbach - Foto: ÖDP
„Söder redet mal wieder von „sozial ungerecht“, wenn es um das Bürgergeld geht. Interessant, wie das Wort Ungerechtigkeit in der deutschen Politik immer nur dann benutzt wird, wenn die Schwächsten in der Gesellschaft ein paar Euro mehr bekommen sollen. Dass Deutschland laut OECD seit Jahren zu den Ländern mit der höchsten Steuer- und Abgabenlast für Normalverdiener gehört, scheint ihn nicht zu stören. Dass sich Superreiche und Konzerne jedes Jahr mindestens 50 – 100 Milliarden Euro Steuervermeidung (Studien des DIW und der EU-Kommission) aus der Affäre ziehen, scheint ihn nicht zu stören. Dass der Staat bei Cum-Ex-Deals über 30 Milliarden Euro verloren hat, war auch kein Grund von „sozialer Ungerechtigkeit“ zu sprechen.
Stattdessen wird die uralte Leier bedient: Bürgergeld = Hängematte. Das ist in erster Linie billige Stimmungsmache. Wer sich mal die Fakten anschaut, weiß: Der Regelsatz liegt bei 563 € für Alleinstehende – das ist nicht mal das, was der Paritätische Gesamtverband als Existenzminimum bezeichnet. Studien zeigen, dass die Inflation der letzten Jahre die Lebenshaltungskosten stark erhöht hat. Mit anderen Worten: Bürgergeld ist nicht Luxus, sondern gerade mal eine Notfall-Bremsung gegen absolute Verelendung.
Und jetzt zur vielzitierten „Arbeitsmotivation“: In Deutschland sind laut der IAB-Stellenerhebung 1,2 Millionen Stellen 2025 unbesetzt. Aber warum? Nicht, weil Leute lieber Bürgergeld kassieren, sondern weil die Bedingungen in vielen Branchen unattraktiv sind:
• Gastronomie: 60 Stunden Woche, Dumpinglöhne kaum Planungssicherheit
• Pflege: harte körperliche Arbeit, oft unter Tarif, enormer psychischer Druck
• Paketboten: Stundenlöhne knapp über Mindestlohn, unbezahlte Überstunden, prekäre Subunternehmer
Das Problem ist also nicht das Bürgergeld, sondern ein Arbeitsmarkt, der billige Arbeitskräfte wie Wegwerfware behandelt. Statt Druck auf Erwerbslose auszuüben, sollte man über faire Bezahlung, Tarifbindung und verlässliche Arbeitszeiten reden. Aber das wäre unbequem für die Lobbyfreunde von CSU & Co.
Noch ein Fakt: Laut Bundesrechnungshof können selbst Haushalte mit 150.000€ Vermögen theoretisch Bürgergeld erhalten. Klingt im ersten Moment absurd – wird aber bewusst so skandalisiert. In Wahrheit ist das Schonvermögen Schutz, damit Menschen in einer Krise nicht erst ihr ganzes Leben verpfänden müssen, bevor sie Hilfe bekommen. Übrigens: In fast allen westlichen Ländern gibt es ähnliche oder sogar großzügigere Regelungen. Aber in Deutschland wird daraus sofort ein „Skandal“ gemacht.
Und das größte Märchen: „Die Leute wollen nicht arbeiten“. Laut Umfragen der Bundesagentur für Arbeit sagen über 80 % der Leistungsbezieher, dass sie aktiv nach Arbeit suchen – nur eben keine finden, die existenzsichernd ist. Und selbst diejenigen, die länger im Bezug bleiben, haben oft gesundheitliche Einschränkungen, fehlende Kinderbetreuung oder schlicht Pech auf dem Arbeitsmarkt.
Kurz gesagt: Das Bürgergeld ist kein Angriff auf die „Fleißigen“, wie Söder es darstellt – es ist ein kleiner, halbherziger Versuch, die größten Ungerechtigkeiten von Hartz IV abzumildern. Wer wirklich über soziale Ungerechtigkeit reden will, sollte bei Steuervermeidung, Vermögenskonzentration und politisch gewollten Subventionen für Konzerne anfangen. Aber das wagt Söder nicht – weil das seine Klientel treffen würde.
Darum ist seine Kritik vor allem eins: pure Heuchelei. Nach unten treten, nach oben schweigen. Ein altes CSU-Rezept.

