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Das neue Bundeswahlgesetz lädt zu Klagen ein - auch die ÖDP

Groß war die Aufregung, als die Ampelfraktionen im März 2023 radikale Änderungen am Bundeswahlgesetz durchdrückten. In dem Bemühen, die Größe des Bundestags wieder auf ein Normalmaß zurückzufahren und Überhangmandate abzuschaffen, hat der Gesetzgeber entschieden, dass künftig nicht mehr automatisch ein Mandat erhält, wer in seinem Wahlkreis die meisten Stimmen auf sich vereinigt. Vielmehr sollen Direktmandate nur so lange den stimmstärksten Personen in den Wahlkreisen zugeteilt werden, wie die Parteien dieser Direktkandidaten einen ausreichenden Anteil an Zweitstimmen errungen haben. Zugleich hat die Ampel die Grundmandatsklausel abgeschafft, die bisher dafür sorgte, dass bei einem Gewinn von mindestens drei Direktmandaten die Sperrklausel nicht zur Anwendung kam. Somit müssen nun Die Linke und sogar die CSU befürchten, im nächsten Bundestag nicht mehr vertreten zu sein. Abgeordnete beider Parteien kündigten wutentbrannt den Gang nach Karlsruhe an, um das neue Wahlrecht gerichtlich zu Fall zu bringen.

Doch auch andere politische Akteure nehmen die Wahlrechtsnovelle zum Anlass, um Klagen einzureichen, die jahrzehntelang als unzulässig zurückgewiesen worden wären. Denn Verfassungsbeschwerden dürfen nur innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten eines Gesetzes eingebracht werden, für Organklagen beträgt diese Frist gar nur sechs Monate. Sowohl die 5-%-Sperrklausel wie auch die Verpflichtung zum Sammeln einer bestimmten Zahl an Unterstützungsunterschriften stehen schon seit Jahrzehnten unverändert im Bundeswahlgesetz. Als z. B. im Jahr 2005 die ÖDP und die Familienpartei dagegen klagten, dass bei den Unterschriftenquoren keine Ausnahmeregelung für den Fall vorgezogener Neuwahlen vorgesehen sei, wurde ihnen vom Bundesverfassungsgericht vorgehalten, dass sie mit ihrer Initiative gut 48 Jahre zu spät kämen (vgl. 2 BvE 5/05, Rn. 33).

Regelungen im Bundeswahlgesetz müssen neu bewertet werden

Allerdings führte das Gericht im gleichen Urteil aus, dass die Frist, innerhalb derer eine Regelung zulässigerweise angegriffen werden kann, neu zu laufen beginnt, wenn zwar nicht die Regelung selbst geändert wurde, eine Gesetzesänderung an anderer Stelle jedoch eine verfassungsrechtliche Neubewertung der Regelung erforderlich macht. Das ist nunmehr der Fall. Insbesondere die Argumente, mit denen bisher eine Unterschriftenpflicht für Wahlkreis-Kandidaturen begründet wurde, sind durch das neue Wahlrecht größtenteils hinfällig geworden. Doch auch bezüglich der Unterstützungsunterschriften für Landeslisten sehen wir Chancen, zumindest eine gewisse Reduzierung der Belastungen zu erreichen. Unter anderem lässt sich darauf verweisen, dass der ordnungsgemäße Ablauf der Wahl nicht beeinträchtigt wurde, als im Corona-Jahr 2021 nur 25 Prozent der üblicherweise geforderten Unterschriften gesammelt werden mussten.

Der Verband Mehr Demokratie e.V. wiederum hat die günstige Gelegenheit genutzt, gegen die Höhe der 5-%-Hürde zu klagen. In diesem Fall ist es der Wegfall der Grundmandatsklausel, der eine verfassungsrechtliche Neubewertung der Sperrklausel erzwingt. Bleibt es bei den von der Ampel beschlossenen Änderungen am Bundeswahlgesetz, muss wohl mindestens ein anderes „Ventil“ geöffnet werden, damit man einer Verfassungswidrigkeit entgeht. Ein solches Ventil könnte z. B. die Erlaubnis sein, Listenverbindungen einzugehen – oder aber, was hier besonders naheliegend ist: eine deutliche Absenkung der Sperrklausel. Der Verfassungsbeschwerde von Mehr Demokratie sind mittlerweile mehrere tausend Bürgerinnen und Bürger beigetreten; am heutigen Freitag soll sie beim Bundesverfassungsgericht eingereicht werden.