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15. Bürgerrechte, Datenschutz und innere Sicherheit im digitalen Fortschritt wahren

Als Gesellschaft und vor allem als Menschen sehen wir uns mit der fortschreitenden Digitalisierung mit ihren mannigfaltigen Kommunikations- und Datenverarbeitungs-Möglichkeiten einer Vielzahl an Herausforderungen gegenüber, insbesondere bei der Wahrung unserer Bürgerrechte, des Schutzes unserer persönlichen Daten und dem Erhalt der inneren Sicherheit. Bei dieser Entwicklung setzt die ÖDP auf eine zukunftsgewandte Digitalisierung: Sie möchte die Potenziale digitaler Lösungen nutzen und fördern, aber dabei die Rechte und Interessen aller Bürgerinnen und Bürger vor den zahlreichen Übergriffen profitgieriger bzw. machthungriger Internet-Akteure schützen und solche Digitalprojekte unterstützen, die einen nachhaltig positiven Effekt auf unseren Lebensraum und das Gemeinwohl haben. Die ÖDP vertritt dabei auch die vom deutschen Ethikrat zur Digitalisierung vorgegebenen Leitlinien. (18)

Bürgerrechte in der EU stärken
Die Menschen in der EU profitieren häufig von den in der Charta für Grundrechte festgeschriebenen Bürgerrechten: persönliche, bürgerliche, politische, wirtschaftliche und soziale Rechte, Schutz vor Diskriminierung und Schutz personenbezogener Daten. Letzteres verlieren wir manchmal aus den Augen, wenn wir in der Technikbegeisterung für die Digitalisierung und die mit ihr gegebenen vielfältigen Möglichkeiten mit einem schnellen Click allen Cookies und AGBs zustimmen, um „dabei sein“ zu können. Zum Nutzen der großen Big-Data-Profiteure.

Die ÖDP tritt mit ihrem Grundsatzprogramm für den Schutz des Individuums und dessen Grundrechte, gleich ob analog oder digital, ein. Deshalb fordert sie:
•    Eine weitere Stärkung bzw. Durchsetzung der EU-Grundrechte in allen EU-Staaten, insbesondere im digitalen Bereich durch die Einhaltung des Datenschutzes (DSGVO (19)) und dessen konsequente Durchsetzung.
•    Einen europaweiten Aktionsplan, der sich gegen jegliche Form von Diskriminierung und Gewalt wie Rassismus und Queerfeindlichkeit wendet und ein kooperatives Miteinander fördert.
•    Die Vermeidung von Zwang zur Nutzung automatisierter Systeme (z. B. Online-Systeme von Behörden, bargeldlose Bezahlung) durch den Erhalt klassischer analoger Erledigungsmöglichkeiten zur Wahrnehmung ihrer bürgerlichen Rechte und Pflichten (Digitale Souveränität (20)).
•    Die Sicherung der Medien- und Pressefreiheit, insbesondere des investigativen Journalismus.
•    Ein umfassendes EU-Whistleblower-Schutzprogramm.
•    Offenlegung und damit Überprüfbarkeit der Algorithmen, die anstelle von Menschen eine Auswahl bzw. eine Entscheidung treffen.
•    Die Förderung von technischen Einrichtungen zur Unterstützung der individuellen Freiheiten bei Mobilität, Kommunikation, Bildung, allgemein zugängliche Open-Source-Datenbanken und Programmsysteme etc.
•    Die Feststellung der Kompatibilität neuer Kommunikationstechniken vor deren Zulassung bzw. Einführung mit dem Datenschutz und den anderen EU-Regelungen durch demokratisch legitimierte Gremien.
•    Neue Regelungen zum Umgang mit personenbezogenen medizinischen Daten, die aber nicht zu einer Verschlechterung der Gesundheitsversorgung führen dürfen.
•    Schutz und Förderung von Bildungszugängen, fairen Arbeitsbedingungen und gesellschaftlicher Teilhabe.

Konsequenterer Datenschutz als drängende Aufgabe der EU
Die digitalen Kommunikationssysteme (Internet) bieten uns viele Vorteile im Alltag, sind aber auch hochgradig mit dem Risiko des Datenmissbrauchs verbunden, weshalb die EU mit der allgemeinen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ein strenges Regelwerk zu dessen Verhinderung erstellt hat, mit den Rechten auf Auskunft, Löschung, Widerspruch, Berichtigung, eingeschränkte Verarbeitung und Datenmitnahme sowie einem Kopplungsverbot (d. h. keine Verknüpfung von Daten aus verschiedenen Bereichen). Leider ist in den Bildungseinrichtungen die Aufklärung über die Grundlagen des Datenschutzes sowie über mögliche Gefährdungen bei der Nutzung digitaler Dienste noch sehr karg.
Trotzdem wird der Datenschutz an vielen Stellen verletzt: zunächst durch illegale Handlungen wie z. B. die weitere nicht zulässige Auswertung registrierter Daten von Smartmetern für Strom- und Heizwärmeverbrauch, GPS-Daten aus Mobilfunkgeräten, Informationen aus dem bargeldlosen Bezahlen etc. zur Gewinnung von Aussagen über das Nutzer-Alltagsverhalten. Ein weiteres Beispiel sind der illegal mögliche Abgriff sowie die illegale Auswertung der momentan zentral gespeicherten medizinischen Daten aller Kassenpatienten. Schließlich sei das illegale Weiterverwerten von Telefonmitschnitten und die Aufzeichnung von Telefonverbindungen genannt.
Wir geben aber auch „freiwillig“ viele persönliche Daten über uns preis: Im Internet muss man meist beim Aufrufen einer Seite den „notwendigen“ Cookies zustimmen, vor der Benutzung sozialer Medien und vieler anderer Programme wie auch mancher Videokonferenzen muss man den Geschäftsbedingungen zustimmen, die das Abgreifen persönlicher Daten erlauben. Eine Grauzone bilden neue Automodelle, die mit vielen Sensoren Daten über die Zahl der Mitreisenden, oft auch über ihr Körpergewicht, über die Fahrweise und vieles mehr ohne explizite Zustimmung speichern, versenden und zur Auswertung bereitstellen. All diese Aktivitäten tragen zu dem Milliardengeschäft Big Data bei, wo Marketing-Strategen und politische Gruppen versuchen, mit solchen Sammlungen vieler persönlicher Daten bestimmte Personengruppen zu identifizieren und diese Kenntnis für ihre Interessen einzusetzen.
Ein weiteres Problem stellen die vielen öffentlichen Überwachungskameras mit Gesichtserkennung dar, ebenso wie die digitalen Pässe mit deutlich mehr biometrischen Daten, die die Bundesregierung wie viele andere europäische Länder einführen will. Denn dort sollen, wenn man den entsprechenden Zugang hat, nicht nur die Daten eines üblichen Passes abrufbar sein, sondern u. a. der Impfstatus und andere persönliche Angaben.

Deshalb sieht die ÖDP hier bei der Durchsetzung des Datenschutzes noch erhebliche Defizite und fordert:
•    Die Einhaltung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) der EU und deren konsequente Durchsetzung durch Kontrollinstanzen in allen EU-Staaten sowie eine höhere Bestrafung bei Vergehen.
•    Nationale Gesetze dürfen nicht der Intention der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entgegenstehen oder dort getroffene Regelungen aufheben (z. B. pauschale Freigabe persönlicher Daten an die USA).
•    Das uneingeschränkte Informationsrecht aller Bürgerinnen und Bürger über die Verarbeitung und Weiterleitung ihrer persönlichen Daten.
•    Keine Aufweichung des Datenschutzes durch Freihandelsabkommen und sonstige Verträge der EU mit Drittstaaten.
•    Keine Absenkung der hohen Datenschutzstandards für medizinische Daten aus gesundheitspolitischen Gründen, insbesondere keine Weitergabe von medizinischen Daten ohne die Zustimmung des Patienten, selbst nicht zu Forschungszwecken.
•    Einen Zustimmungsvorbehalt für die Betroffenen, wenn von ihnen Daten, die direkt oder indirekt Informationen über ihr Alltagsverhalten beinhalten (z. B. Smartmeter für Stromverbrauch, GPS-Daten aus Mobilfunkgeräten, Informationen aus dem bargeldlosen Bezahlen), über den zulässigen Zweck der Registrierung hinaus verwendet bzw. weitergegeben werden.
•    Die besondere Beobachtung außereuropäischer, aber im europäischen Internet agierender Digital-Konzerne mit Big-Data-Interessen (z. B. Facebook, Amazon, Google) bezüglich der Einhaltung der DSGVO und anderer EU-Regelungen.
•    Ein Verbot anlassloser Auswertung von Videoaufzeichnungen im öffentlichen Raum mit Gesichtserkennung.
•    Eine systematische Evaluierung von Überwachungsbefugnissen und -programmen.

Innere Sicherheit schützen
Die Sicherheitsbehörden der Mitgliedsstaaten arbeiten zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit immer enger zusammen, um grenzüberschreitender Kriminalität besser begegnen zu können. Dabei spielt der Austausch von Datenbankinformationen aus den verschiedenen EU-Staaten über digitale Kanäle eine wichtige Rolle. Auch Software-Systeme zur Vorhersage von schweren Straftaten könnten einen Beitrag zur Stabilisierung der inneren Sicherheit liefern.
Die konfliktgeladene Auseinandersetzung um den Klimaschutz und damit um die Zukunftserwartungen nachfolgender Generationen führt derzeit zunehmend zu einer Spaltung der Gesellschaft und damit zu einer Bedrohung der inneren Sicherheit durch eine Destabilisierung des gesellschaftlichen Konsenses.
Zu einer solchen Konsensfindung kann die Verfügbarkeit der digitalen Kommunikationssysteme und damit die Erreichbarkeit einer großen Anzahl von Menschen einen positiven Beitrag liefern. Allerdings kann diese Reichweite auch missbraucht werden, nämlich für Desinformation: So hat die Firma Cambridge Analytica weltweit über zweihundert Wahlen beeinflusst, u. a. die amerikanische Präsidentschaftswahl 2016 und den Brexit. Dabei geht es aber nicht nur um Wahlen, sondern auch um Beeinflussung und Kontrolle von Gruppen mit dem Ziel der Destabilisierung des Staatswesens.

Deshalb fordert die ÖDP in der EU:
•    Einen besseren Schutz kritischer Infrastruktur und öffentlicher Sicherheit vor Cyberattacken, Spionage und Terroranschlägen in allen EU-Staaten.
•    Einen Schutz vor gezielter gesellschaftlicher und politischer Manipulation durch Internetdienste wie Social Media, ermöglicht durch individuell gewählte und gefilterte Informationsverteilung (Content-Zuweisung (21)).
•    Einen Ausbau des Onlineverbunds der Fahndungsdatenbanken (22) aller EU-Staaten zur Unterstützung der nationalen Behörden sowie Europol bei der EU-weiten Verfolgung von Straftaten, aber unter Wahrung der Bürgerrechte.
•    Einen weiteren personellen Ausbau von Europol zur wirksameren Unterstützung der nationalen Strafverfolgungsbehörden gegen internationale Terrornetzwerke und organisierte Kriminalität wie Menschenhandel, Organraub, Erpressung.
•    Kein Abbau von Dienstposten bei der Polizei zugunsten eines weiteren Einsatzes von Überwachungstechnologie.
•    Die Entwicklung einer internationalen Kriminalpräventionsstrategie.
•    Eine Ausweitung der Befugnisse des Grundrechtsbeauftragten bei Europol, insbesondere in Bezug auf das Weisungsrecht. Die parlamentarische Kontrollgruppe bei Europol muss einen höheren Stellenwert und mehr Befugnisse erhalten.
•    Eine demokratisch legitimierte Aufsicht über die Aktivitäten der europäischen Geheimdienste.
•    Mehr Schutz für Menschenrechtsaktivisten und Oppositionelle.
•    Die Ablehnung von Chat-Kontrollen, sofern sie nicht im Einzelfall richterlich angeordnet sind.
•    Keine Nutzung von Staatstrojanern und Spähsoftware (z. B. das Programm „Pegasus“) ohne richterliche Anordnung.
•    Die Sicherstellung der allgemeinen Lebenszufriedenheit durch die problemlose Versorgung mit den Gütern des Alltags mit EU-Bestimmungen zu Lieferketten und Besitzregelungen von relevanten Infrastrukturelementen (z. B. Häfen, öffentlicher Verkehr, medizinische Versorgung).
•    Eine verstärkte EU-weite Konsensbildung zum Klimaschutz und dessen konsequenter Umsetzung als sicherheitsfördernden Beitrag zum Erhalt der Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen (Enkelpolitik).
•    Die Einübung friedlicher Konfliktbewältigung in Schulen, Medien und Politik.

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(18) Publikationen: „Mensch und Maschine – Herausforderungen durch Künstliche Intelligenz“ 2022 (https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-mensch-und-maschine.pdf); „Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung“  2017
(19) Datenschutzgrundverordnung, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32016R0679
(20) Digitale Souveränität beschreibt die Fähigkeiten und Möglichkeiten von Menschen und Institutionen, ihre Rolle(n) in der digitalen Welt selbstständig, selbstbestimmt und sicher ausüben zu können. Siehe auch: https://www.bundesdruckerei.de/de/innovation-hub/digitale-souveraenitaet-was-ist-das
(21) Personenbezogene Verknüpfung von Daten aus verschiedenen Bereichen zur Profilbildung eines Individuums, um es einer Zielgruppe zuordnen zu können
(22) Zum Beispiel Schengener Informationssystem (SIS)