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Persönlicher Kommentar

Ist Bio spießig?

Nur etwa 15 Prozent ihres Einkommens gaben die Deutschen 2021 für Nahrung, Getränke und Tabak aus. Fast genauso viel, nämlich immerhin 12 Prozent, für Verkehr. Für Wohnen und Energie etwa 37 Prozent von durchschnittlich 2.480,- Euro pro Kopf.* Da stellt sich die Frage: Wieviel darf unser Essen eigentlich kosten? Passen Bio und Discounter zusammen? Es geht um mehr Wertschätzung für landwirtschaftliche Produkte.

Ist Bio spießig? Das fragte – ernsthaft? – bei der weltweit größten Agrarschau „Grüne Woche“ in Berlin der Biobauernverband Naturland. Die so betitelte Podiumsdiskussion, bei der ausgewiesene Experten aus Landwirtschaft, Handel und Politik nach Antwort suchten, mag schon ein wenig Ältere an Streitgespräche erinnern, die vor 30 Jahren manche Wohngemeinschaft umtrieb, einige gar sprengte: Wie viel Professionalität darf sich die Bio-Szene leisten, ehe sie als verwässert oder – schlimmer – gar korrumpiert gilt?

Die Antwortsuche führte schon damals zum Dauerzwist unter den so genannten Fundis und Realos der Ökobewegung. Die ersteren hüteten die reine Lehre, die zweiten schielten schon damals nach den Möglichkeiten der Macht. Sie haben den Gang durch die Institutionen inzwischen geschafft, der Streit schwelt offensichtlich weiter.

30-Prozent-Ziel als Ansporn erkennen

Das, dachte ich, sei Schnee von gestern. Dass die Frage nun ernsthaft wieder aktuell wird und sich ausgerechnet an der Ankündigung der Ampelregierung in Berlin entzündet, bis 2030 den Anteil biologisch erzeugter Lebensmittel auf 30 Prozent der Äcker in Deutschland auszuweiten, erscheint obendrein geradezu irrwitzig. Dies erklärte Ziel der politisch Verantwortlichen müsste „die Szene“ eigentlich jubeln lassen. Es wirft sie augenscheinlich aber zurück auf den Status quo von vorgestern.

Statt mit Freudentränen reagiert sie offenbar – und völlig unverständlicherweise – mit Schaum vor dem Mund: Es werde wohl dazu führen, dass die Bioqualität leide, wenn eintrifft, was im Regierungsprogramm der Koalition verankert ist. Es schwemme Bioprodukte in Supermarktregale, mache sie zur Massenware – so, das wenigstens suggerierte die Fragestellung, verkomme die Qualität biologischer Erzeugnisse zu Allerweltsprodukten für jedermann und alle Frauen.

Geht's noch?

Es geht um die Wertschätzung der Produkte

Mal abgesehen vom elitären Ton eines solchen Arguments – es ist überhaupt keines. Was in der Debatte um mehr Fläche für gesunde Nahrungsmittel zählt sind vielmehr Antworten darauf, wie etwa Produkte aus Umstellungsbetrieben mit einer extra Kennzeichnung endlich auch den Weg ins Regal und so auf unsere Tische finden, oder wie durch steuerliche Vergünstigungen – weniger oder keine Mehrwertsteuer auf Gemüse und Obst – gesunde Lebensmittel für Verbraucherinnen und Verbraucher bezahlbarer werden. Gerade in Zeiten von Inflation und Energiekrise sind das gewichtige Posten. Es gehe am Ende schließlich darum, darin waren sich die Diskussionsteilnehmer zum Glück einig, mehr Wertschätzung für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse zu erzielen.

Und zur Ehrenrettung von Naturland: Die Frage nach der Spießigkeit war natürlich wohl doch eher eine gekonnte Provokation. Verbandschef Hubert Heigl freut sich nämlich, dass das 30 Prozent-Ziel „neuen Schwung in die Debatte“ bringe – wie die Podiumsdiskussion seines Verbands.

Gerd Pfitzenmaier

*Quelle: https://www.destatis.de

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