„Was liest du gerade?“

Eine beliebte Frage unter Freunden. Es ist ein wenig peinlich, wenn einem dann außer einigen Ausreden nichts Ordentliches einfällt: „Gerade wahnsinnig im Stress… überhaupt keine Zeit… für den Urlaub habe ich mir einen ganzen Stapel vorgenommen!“ Vor drei Tagen stellte mir eine ehemalige Kollegin und heutige Freundin genau diese Frage. Ich musste keinen Augenblick mit der Antwort zögern: „Die neue Umverteilung – soziale Ungleichheit in Deutschland“, das aktuelle Buch des Sozialhistorikers Hans-Ulrich Wehler (C.H.Beck-Verlag) ist meine derzeitige Lektüre und ich kann diese Schrift nur allen gesellschaftspolitisch interessierten Menschen in unserer Republik empfehlen. Wer die Verästelungen der sozialwissenschaftlichen Theorien nicht zu seinen Fachgebieten zählt, sollte allerdings das erste Kapitel überspringen. Ab Kapitel 2 wird das Buch trotz seiner absoluten Fachlichkeit zur aufregenden Lektüre. Der mittlerweile 82jährige Autor liefert eine fundierte und sozialwissenschaftlich begründete Abrechnung mit der marktradikal-neoliberalen Irrlehre von den Segnungen des „dereguliert-freien Marktes“. Gleichzeitig plädiert er mit besten Argumenten für eine gerechtere Steuerpolitik und für den Erhalt und die Erneuerung der sozialstaatlichen Ordnung. Nebenbei bemerkt: Wie schön muss es sein, noch im hohen Alter eine derartige Leidenschaft für eine bessere Politik zu haben…