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Persönlicher Kommentar

Work-Life-Balance? Arbeitszeit in Deutschland

In einigen Bundesländern haben die Sommerferien begonnen – Gelegenheit, um einmal grundsätzlich über Arbeitszeit(-modelle) und die richtige Balance zwischen Arbeit und Freizeit nachzudenken.  

Ob Voll- oder Teilzeit: Gerade mit der Zunahme von Home Office-Tätigkeiten geht es immer mehr auch um die Flexibilisierung von Arbeit – und damit um eine bessere Ausgewogenheit zwischen Familie, Freizeit und Arbeit.

Ein Blick zurück in die Vergangenheit zeigt: Bereits ab den 1870er Jahren gingen die Arbeitszeiten tendenziell zurück. Im Deutschen Kaiserreich arbeiteten die Beschäftigten im Jahr 1871 im Durchschnitt 72 Stunden in der Woche. Die Wochenarbeitszeit sank in den folgenden Jahrzehnten: Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im Jahr 1914 lag sie bei 55,5 Stunden. Die Wende zur kürzeren Arbeitszeit brachte dann die Novemberrevolution 1918. Es wurde endlich Realität, wofür Arbeiter und Gewerkschaften lange gekämpft hatten: Der Achtstundentag bei vollem Lohnausgleich für alle Arbeiterinnen und Arbeiter. Im Jahr 2019 arbeiteten Vollzeiterwerbstätige im Schnitt 41 Stunden pro Woche.*

Also: Heute alles gut im Arbeitsleben? Die Digitalisierung hat völlig neue Fakten geschaffen. Die digitalisierte Welt erlaubt „remotes“, das heißt zeit- und ortsunabhängiges, Arbeiten. Ständige Erreichbarkeit bedeutet für viele aber auch grundsätzlich, ständig einsatzbereit sein zu müssen – ist das die Zukunft der Arbeit?

Der IG-Metall-Chef Jörg Hofmann hat dazu eine klare Haltung: Flexibilität ist gut, aber die Beschäftigten müssen auch geschützt werden. „Mobiles Arbeiten heißt nicht, erreichbar 24 Stunden am Tage, sondern beinhaltet auch ein Recht auf Abschalten. Und deswegen halte ich auch die Debatten um die Eingrenzung der Ruhezeiten für abstrus. Die Menschen wollen abschalten und brauchen da auch einen Anspruch, das zu tun.“**

Arbeitgeber haben schließlich eine Fürsorgepflicht: Sie sind gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern dazu verpflichtet, auf ihre Rechte, Rechtsgüter und Interessen Rücksicht zu nehmen und das Arbeitsverhältnis in sozialer Weise auszugestalten.

Bedeutet dann flexibleres Arbeiten wenigstens gleiche Chancen für alle auf dem Arbeitsmarkt? Anscheinend nicht, denn es herrscht weiterhin ein sehr unausgewogenes Verhältnis zwischen Männern und Frauen im Berufsleben, wie sich an den gängigen Arbeitszeitmodellen gut ablesen lässt:

Rund 4,4 Millionen Beschäftigte in Deutschland waren im Jahr 2020 ausschließlich geringfügig beschäftigt. Damit sind 12 Prozent aller Kernerwerbstätigen in Deutschland sogenannte Minijobber. Frauen stellen mit 60 Prozent in dieser Gruppe immer noch den deutlich größeren Anteil.***

In Teilzeit waren 2020 11,4 Mio. abhängig Erwerbstätige beschäftigt. Hier ist der Anteil der Frauen sogar noch höher und lag bei etwa 79 %.****

Ein Schwerpunkt der Familienpolitik der ÖDP setzt genau dort an, dass bei allen Bemühungen um einen gleichberechtigten Arbeitsmarkt vor allem die familiäre Sorgearbeit nicht berücksichtigt wird. Sowohl Erziehungs- als auch Pflegearbeit innerhalb der Familien müssten der herkömmlichen Erwerbsarbeit gleichgestellt werden, um Menschen eine wirkliche Wahlfreiheit und (finanzielle) Unabhängigkeit zu sichern. Deshalb muss eine Reduzierung der (Regel-)Arbeitszeit ermöglicht werden, ohne dass dadurch der Sozialversicherungsschutz zusammenbricht. Ein Recht auf Teilzeit hilft nicht weiter, wenn daraus Altersarmut folgt. Die ÖDP fordert seit langem ein sozialversicherungspflichtiges Erziehungs- und Pflegegehalt.

*https://de.statista.com/

**https://www.deutschlandfunk.de/100-jahre-acht-stunden-tag-der-lange-kampf-um-faire-100.html

***https://www.wsi.de/de/

****https://www.sozialpolitik-aktuell.de/files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Arbeitsmarkt/Datensammlung/PDF-Dateien/abbIV8d.pdf

Autor/in:
Anja Kistler
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